MG 1039Überleben - Leben - Lebensqualität ?

Mellot kommt aus Eritrea. Er lebt zurzeit in Luxemburg und hat den BPI-Status (Bénéficiaire de protection internationale). Wir redeten mit ihm über seine Flucht und unser Thema "Lebensqualität":

Ich komme aus Eritrea, ich bin 33 Jahre alt. Ich wuchs mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in der Hauptstadt Asmara auf. Meine Mutter erzog mich „in europäischem Style“, auch wenn es bei uns im Land üblich ist, dass die Frauen alles im Haushalt erledigen, erzog sie uns dazu, mitzuhelfen. Sie musste arbeiten um uns alle durchzubringen, da mein Vater nicht da war, so dass sie nicht auch noch stundenlang den Haushalt verrichten konnte. Ich glaube, diese Erziehung ist nun von Vorteil für mich, denn es fällt mir weniger schwer als vielen anderen, mich in Europa einzuleben.
Warum bin ich in Luxemburg? Wegen meines Glaubens. Ich gehöre einer Pfingstkirche an. Das ist in Eritrea aber nicht erlaubt. Dort sind nur die eritreisch-orthodoxe Kirche, die protestantische Kirche Eritreas, die katholische Kirche und der Islam anerkannt. Das Praktizieren aller anderen Glaubensrichtungen und Religionen wurde 2002 von der Regierung untersagt. 2001 war schon die freie Presse verboten worden. In beiden Fällen wird als Argument genannt, dass Presse und Kirchen Sprachrohre ausländischer Interesse seien, die die Integrität und die Unabhängigkeit des Landes in Gefahr bringen würden. 2009 studierte ich Computerwissenschaften an der Uni von Asmara, als ich wegen meiner Zugehörigkeit zur Pfingstkirche festgenommen wurde. Ich kam ins Gefängnis.
In Eritrea sind die Gefängnisse in der Wüste. Es ist schrecklich heiß am Tag, kalt in der Nacht. Wir mussten Zwangsarbeit verrichten und bekamen nur wenig Wasser. Für den Staat hat es den Vorteil, dass sie nicht viele Gefängniswärter brauchen, denn es gibt keine Fluchtmöglichkeiten, rundherum ist nur Wüste. Es gibt nicht mal einen Baum um sich zu verstecken. Mir glückte bei einem Krankentransport die Flucht, das war 2011. Ich floh nach Süd-Sudan, weil das billiger ist als nach Äthiopien zu gehen. Ich arbeitete dort als Kameramann und wurde gut bezahlt. Als die ethnischen Konflikte begannen, flüchtete ich auch von dort. Ich ging nach Karthum im Sudan. Aber dort gab es keine Arbeit, es ging hier nur ums (blanke) Überleben. Deswegen entschied ich mich, über Libyen nach Europa zu reisen. Ich ließ meine Frau zurück und versprach ihr, sie später zu mir nachreisen zu lassen, sobald ich mir dort ein Leben aufgebaut hätte. Sie blieb bei Familienmitgliedern in Äthiopien. Ich wusste, dass die Reise sehr gefährlich werden würde und dass ich eventuell nicht überleben würde.

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Schmuggler brachten mich an die Grenze zu Libyen. Danach brauchten wir fast 2 Wochen um, mit anderen Schmugglern, die Sahara zu durchqueren und nach Bengasi zu gelangen. Über 50 Personen auf einem Pick Up eingepfercht, ohne Platz, sich zu bewegen. Wir mussten stehen. Die Schmuggler scherten sich nicht darum, wenn jemand vom Auto fiel. Sie fuhren einfach weiter. Wir bekamen kaum Wasser. Ich reiste mit einer Frau und ihrer kleinen Tochter zusammen. Ich hatte mich als ihr Ehemann ausgegeben, damit die Schmuggler ihr keine Gewalt antaten. Das kleine Mädchen verdurstete. Wir durften sie nicht einmal begraben, da die Schmuggler uns mit ihren Waffen bedrohten. Die Mutter verlor den Verstand und starb.
Von Bengasi musste ich weiter nach Tripoli. Gottseidank hatten früher Geflüchtete mir mehrfach geraten, kein Bargeld mitzunehmen und die Schmuggler nur per Mobiltelefon zu bezahlen. Viele andere wurden ausgeraubt und gezwungen, durch Organspenden zu bezahlen.
Mit einem Boot gelangte ich nach Italien. Wir waren 300 Menschen, 4 Tage überlebten wir ohne Essen und Wasser, mit der ständigen Angst, dass das Boot kentern könnte. Es stimmt dass mein Leben in Eritrea furchtbar war. Aber, nach der Erfahrung dieser Reise, muss ich sagen: die Schmuggler waren schlimmer. Vor allem die libyschen. Hier in Luxemburg erzählte ich meine Lebensgeschichte Jugendlichen, in einem Schulprojekt der Caritas. Es ist mir wichtig, verstanden zu werden.
2014 bekam ich den Flüchtlingsstatus, im folgenden Jahr durfte meine Frau nachkommen. Wir haben einen kleinen Sohn, der bald 2 Jahre alt wird.
Er ist mein Alles. Ich möchte ihm alles beibringen, was ich weiß. Seine Heimat ist sowieso hier, er ist hier geboren und wird hier aufwachsen, aber ich möchte ihm wenigstens Äthiopien zeigen, wenn es schon nicht möglich ist, ihm meine Heimat zu zeigen. Ich möchte, dass er es gut hat, dass er lernt, damit er eine Zukunft hat. Ich möchte sparen, damit ich seine Ausbildung zahlen kann. Ich lebe für ihn. Ich habe 2 Jobs. Tagsüber bin ich Techniker bei einer Firma. Es war nicht möglich in meinem Beruf als Kameramann zu arbeiten, aber mein Vertrag als Techniker ist unbefristet. Abends liefere ich Essen aus. Das Problem ist, dass das Leben hier so teuer ist. Auch mit 2 Jobs ist es schwer, die Familie ordentlich durchzubringen. Es ist auch schwer, eine Wohnung zu mieten, denn obwohl ich einen unbefristeten Vertrag habe, genügt es, dass die Vermieter sehen, dass ich dunkelhäutig bin, damit sie mir nicht glauben, dass ich die Miete zahlen werde. Ich kann das nicht verstehen und finde es ungerecht. Im Moment fällt es mir schwer, über Lebensqualität zu reden, denn ich finde nicht, dass meine Familie zurzeit eine gute Lebensqualität hat. Wir sind hier sicher. Das ist alles. Wir überleben hier, aber es gibt keine wirkliche Qualität. Ich arbeite fast ständig und trotzdem haben wir sehr viele Sorgen.

Wir danken Dir, Mellot, für das Gespräch und Dein Vertrauen.

Hier können Sie einen Beitrag von Mellot bei "I'm not a refugee" sowie eine Kontaktmöglichkeit finden.

 


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